Rainer Scheithauer spielt in der
musikalischen Champions League und hat keinerlei Erfolgsgeheimnisse
Gesehen haben wir sie alle schon, gehört ohnehin. Wir wissen, wie sie ausschauen, denken, musizieren, allein ein wirkliches Kennenlernen bleibt für den gemeinen Fan ein nahezu unerreichbares, exklusives Ding. Rainer Scheithauer weiß, ob Herbert Grönemeyer in der Stadt tatsächlich gerne Currywurstbuden ansteuert und ob Bono, ja, der Bono, exakt der begnadete Songwriter und empathische Menschenfreund ist, den wir in ihm sehen.
Der im schwäbischen Bietigheim-Bissingen (nahe Stuttgart) geborene Scheithauer gehört seit Jahren zu dem, was der Angelsachse gemeinhin „Top of the Cream“ nennt und der Fußballfan zur Wochenmitte im Bezahlfernsehen als Champions League feilgeboten bekommt. Die Liste seiner musikalischen Gastspiele auf den Bühnen und in den Studios der Republik ist quantitativ und qualitativ derart umfangreich, dass es tatsächlich schwierig wäre, sie im hier vorliegenden Format in Gänze zu berücksichtigen. Erstaunlich dabei: Es gibt im Grunde keine Geheimnisse für diesen riesigen Erfolg. Er basiert auf einem, gemessen am Ergebnis einfachen Rezept, der immer notwendigen, harten Arbeit und den wahrscheinlich besten Peers, die verfügbar waren.
Dass Sozialisierung eine entscheidende Rolle für erfolgreiche Musiker ist, beweist die Biographie von Rainer Scheithauer sehr eindrücklich. Es ist offensichtlich, dass die Eltern Musik lieben. Über das weithin eher unbekannte Blasinstrumentarium Melodika führen sie den siebenjährigen jungen Mann, Nesthäkchen mit drei älteren Geschwistern, zum Klavierunterricht.
Rainer darf sich ausprobieren, gründet früh eine eigene Band, spielt in den Gottesdiensten der Freikirche, zu der die Familie gehört und lernt in diesem Dunstkreis bereits die herausragenden Akteure der sogenannten CCM, der zeitgenössischen christlichen Musikszene in den USA, über Tonträger kennen. Abe Laboriel beispielsweise, eine lebende Legende am Bass, Ehrendoktor am renommierten Berklee College of Music, Fusion Jazzer der höchsten Kategorie, mit seiner Kapelle Koinonia Wegweiser vieler Bands weit über die in den Staaten durchaus relevante fromme Musikszenerie hinaus. Der Bassmann ist bis heute künstlerisches Genie, der Talent und Passion lebt und längst weitergegeben hat: Sein Sohn Abe Laboriel jr. gehört zu den anerkanntesten Schlagzeugern unserer Zeit.
Klavierlehrer Pflüger empfiehlt seinem Schützling Rainer Scheithauer das bis heute meisterverkaufte Jazz-Soloalbum aller Zeiten, das legendäre Köln-Konzert aus dem Jahr 1975 von Keith Jarrett. „Ich sog diese Musik förmlich auf“
Improvisationspotenzial, Kreativität und das handwerkliche Knowhow des alten Laboriels beeindrucken den jungen Rainer Scheithauer, der aber auch hierzulande auf großartige Einflussfaktoren trifft. Den Keyboarder und späteren Erfolgsproduzenten Dieter Falk etwa, den er im Rahmen einer Liveerfahrung in prägender Erinnerung behält. Dies gilt in deutlich nachhaltigerem Maße für seinen Klavierlehrer, den früh verstorbenen Komponisten und Pianisten Hans-Georg Pflüger, einen kreativen Schöpfer in nahezu allen bekannten musikalischen Gattungen, der dem jungen Talent Augen, Ohren und Herz öffnet für die Schönheit, die grenzenlosen Potenziale, die kaum zu fassenden unterschiedlichen Facetten der Musik.
Die Grenzen zwischen E-, U- und F-Musik verschwimmen zu einem riesigen Markt der Möglichkeiten. Dass Hornliebhaber Pflüger seinem Schüler ausgerechnet Jazzmusik schmackhaft zu machen vermag, ist folgerichtig: Dekliniert man durch die Liste der renommiertesten Artisten unserer Zeit, ergibt sich ein kleinstes gemeinsames Vielfaches bei den unterschiedlichen Spielarten des Jazz. Hier trennt sich die vielzitierte Spreu vom Weizen, Jazz ist neben der klassischen Musik musikalischer Kulminationspunkt, der schonungslos aufdeckt und am Ende des Tages einfordert, dass harte Arbeit zwingend auf Gott gegebenes Talent treffen sollte, insbesondere Improvisationstalent. Und ebenso logisch ist die nächste wichtige Station in der musikalischen Entwicklung von Rainer Scheithauer: Er wird zu einem frühen Zeitpunkt mit Keith Jarrett konfrontiert, Klavierlehrer Pflüger empfiehlt seinem Schützling das bis heute meisterverkaufte Jazz-Soloalbum aller Zeiten, das legendäre Köln-Konzert aus dem Jahr 1975; Musikgeschichte, glücklicherweise auf Band gebrachte Sternstunde des Jazz zu einem Zeitpunkt, als die Kreativität in der Popularmusik ausschließlich über Drogenkonsum möglich schien und nach einer Phase politischer Instrumentalisierung, die viel Schaden angerichtet hatte.
„Ich sog diese Musik förmlich auf“, erinnert sich Scheithauer heute. Und beobachtet man das Spiel des Schwaben, ergeben sich durchaus Parallelen zu dem großen Keith Jarrett. Die assoziativen Figuren und Melodiefolgen entlockt Rainer Scheithauer seinen Arbeitsgeräten mit ungeheurer Leichtigkeit. Auch er besitzt das seltene Talent, Strömungen und Eindrücke unterschiedlicher musikalischer Wege in einen freundlichen, subtilen und damit verlockenden Sound zu verpacken. Zweifelsohne auch ein Ergebnis weit geöffneter Horizonte, für die im Falle von Rainer Scheithauer auch sein Mentor Hans-Georg Pflüger verantwortlich zeichnet.
Ein Jazz- und Popularmusikstudium unzählige Liveerfahrungen, Studioproduktionen und Schritte auf dieser schwierigen Karriereleiter später treffen wir auf einen Meister des Tons, der etabliert ist und dennoch durch Bescheidenheit besticht. Einen leidenschaftlichen Musiker, der Bühnen mit Zehntausenden Zuhörern spielte und solche Gigs kennt, in der man das Springsteen’sche Prinzip zugrunde legt, immer ein größeres Publikum zu haben als die eigene Band an Menschen stellt. Wie stark aber ist sein Status heute mit seiner Entwicklung verknüpft? Welche Elemente seiner persönlichen Vergangenheit und musikalischen Sozialisierung machen Rainer Scheithauer 2015 aus?
„Herbert Grönemeyer als Frontmann ist bekanntermaßen ein einziges Energiebündel.“
„Ich denke, dass Jazzmusiker die flexibelsten Künstler sind. Mit einer grundsätzlichen Offenheit für alle Stilrichtungen gibt es im Grunde keine Grenzen mehr. Jazz ist die beste Grundlage des freien Spiels und der Improvisation. Für mich war klassischer Klavierunterricht dazu eine passende Grundlage, musikalisch wie auch spieltechnisch“, verrät Scheithauer. „Es bleibt aber wichtig, seine Rolle auf der Bühne zu kennen und zu akzeptieren. Es ist klar, dass ich mich unterwegs mit Herbert Grönemeyer bei einem Stadionkonzert anders einfinde und auch weniger frei bin als bei einem Jazzkonzert ohne Setlist in einem Stuttgarter Keller.“
Und dennoch eint beide Szenarien die Kombination aus immenser Liveenergie und höchstem handwerklichen Niveau. „Aus meiner Sicht resultiert diese Kombination aus einer gewissen Routine und Reife, die man auch als Musiker braucht und sich über Jahre erspielen muss.“ Routine? Meint er wirklich Routine, der Scheithauer? Diesen eher negativ behafteten, von Fans wie Kritikern gleichermaßen lautstark beäugten Umstand, der unter latentem Verdacht steht, Kreativitäts- und Stimmungskiller Nummer eins zu sein? „Ja, Routine kann auch ein Killer sein“, gibt der Pianist zu. „Aber im positiven Sinne bedeutet eine routinierte Performance eben auch, gesundes Selbstbewusstsein und sehr gute Leistung auf den Punkt abrufen zu können. Außerdem sollte man nie vergessen, dass eine starke, talentierte Band eine gute Dynamik hat; Herbert Grönemeyer als Frontmann ist bekanntermaßen ein einziges Energiebündel. Zusammen mit seinem Publikum fällt es sicherlich nie schwer, die richtige Motivation zu finden, bei aller Routine.“
„Der KORG KRONOS ist meiner Meinung nach das technisch beste Keyboard auf dem Markt, es deckt alles ab, was man braucht!“
Auch wenn Klischees in aller Regel von übersichtlicher Aussagekraft und limitiertem Informationsgehalt sind, hin und wieder entdeckt der geneigte Liebhaber ein bis drei Körnchen Wahrheit in jenen düsteren, oft verstaubten Schubladen. Ja, Tastenmenschen sind in der Tendenz ohne jeden Zweifel gerne Klangfetischisten und Technikfreaks, um nicht zu sagen Tüftler auf der permanenten Suche nach Innovation, Weiterentwicklung und eben jenen Puzzleteilen, die man nicht bereits drei Mal wieder zur Seite gelegt hat. Auch Rainer Scheithauer gehört zu jener Spezies, die ihre Arbeitsgerätschaften nicht bloß beherrschen, sondern als Teil eines kreativen Prozesses betrachten.
„Wahrscheinlich habe ich über die Jahre eine ganz gute Mischung gefunden: Das Basteln an Sounds, gerne benutze ich die oft gescholtenen Presets, optimiere die aber auch meistens etwas. Für mich ist es aber auch von großer Wichtigkeit, dass ich immer direkten Zugriff auf die wichtigsten Controller habe. Oft wird das eigentliche Spielen unterschätzt. Je spezieller ein Sound ist, umso wichtiger ist es, ihn auch richtig zu benutzen. Ein guter Sound hat also auch immer was mit dem Musiker zu tun, wie kreativ der imstande ist, mit einem Sound umzugehen.“
Seine technischen Möglichkeiten brachten Rainer Scheithauer schließlich auch in die Liveband des großartigen Herbert Grönemeyer. „2011 wurde ich von Herberts erstem Keyboarder Alfred Kritzer mit der Bitte kontaktiert, für zwei Songs ein Liveensemble durch Streichersamples zu ersetzen“, erinnert er sich. „Ich hatte bereits Erfahrungen mit Streichern, die spezifische Forderung, alle Spielweisen auf Knopfdruck bereit zu haben, war aber eine echte Herausforderung.“ Drei Tage intensive Arbeit hinter verschlossenen Türen folgen, ebenso ein überzeugendes Vorspiel und Scheithauer ist Teil der Band auf der „Schiffsverkehr“-Tour, wird seitdem regelmäßig für Liveevents vom bekanntesten Bochumer aller Zeiten gebucht.
„Die neue String Library von KApro (Kurt Ader Productions) als AddOn auf dem KRONOS war für mich noch der berühmte Punkt auf dem i.“
Es passt zu Rainer Scheithauer, dass er in Sachen Handwerkszeug kompromisslos agiert und dennoch jederzeit Individualität wahrt. „Gibt es das perfekte Tasteninstrument? Ist ein klassischer Flügel ein perfektes Instrument? Sicherlich ja, schon, aber eben auch nicht umfassend. Man kommt wohl mit jedem Tasteninstrument an Grenzen, darum benutze ich gerne mehrere Keyboards mit unterschiedlichen Tastaturen.“ Scheithauers Fokus bei aller Flexibilität: „Der KORG KRONOS ist meiner Meinung nach das technisch beste Keyboard auf dem Markt, es deckt alles ab, was man braucht!“ Auf der Ende Juni 2015 unterbrochenen „Dauernd Jetzt“-Tour von Grönemeyer, die im kommenden Sommer fortgesetzt wird, hatte Rainer Scheithauer gleich zwei KRONOS‘ im Einsatz.
Unabhängig davon, wie man sich Rainer Scheithauer nähert, man trifft immer auf einen bescheidenen, freundlichen, sehr empathischen Menschen, der sich über die vielen Jahre bemerkenswerter Erfolgsgeschichten eine sehr schöne Eigenschaft bewahrt hat: Obwohl er allen Grund dazu hätte, sein überragendes Talent in den Mittelpunkt zu stellen, seinen Status oder die vielen Erfahrungen mit gewaltigen Bühnen und nicht minder gewaltigen Shows, dominiert die Leidenschaft für sein Tun. Man spürt diese unbesiegbare Freude an seinem Job, die energetische Begeisterung für die niemals zu fassenden Möglichkeiten der Musik, seiner Musik. Und irgendwie verschwindet auch nicht seine Dankbarkeit, das täglich leben zu dürfen, was er so sehr liebt. Da passen dann auch die mittelfristigen Ziele gut ins Bild des schwäbischen Ausnahmemusikers: „Mehr Studioproduktionen machen und Kinder bekommen!“ Es ist davon auszugehen, dass der Tonmeister Rainer Scheithauer auch diese Projekte mit großer Passion, Intensität und Nachhaltigkeit begleiten wird.