Biesmans ist gefragter DJ, Produzent, Sounddesigner und Techniker
Viele Wege führen nach Rom. Manche nach Berlin, würde der gebürtige Belgier Joris Biesmans aka BIESMANS wohl lächelnd ergänzen. Der mittlerweile weltweit gebuchte (und erfolgreiche) DJ, Produzent, Sounddesigner und Techniker hat dabei einen Weg erwischt, der nicht unbedingt typisch ist oder gar Erfolg versprechend. Aber, Moment mal, gibt es diesen typischen Weg überhaupt? Eher nicht. BIESMANS beweist vielmehr, dass es neben Leidenschaft, Knowhow, Talent und harter Arbeit vor allem eine weitere Eigenschaft braucht für ganz oben: eine unkonventionelle Kreativität, die sich nicht scheut, bekannte Begrenzungen zu hinterfragen, auf der Suche nach Lösungen aber alle Möglichkeiten einbezieht. Oder kurz: Ganz schön ‚out oft he box‘, der Typ!
Als Joris Biesmans seiner Familie eröffnete, aus dem belgischen Teil des sehr beschaulichen Dreiländerecks mit den Niederlanden und Deutschland in die Millionenmetropole nach Berlin zu ziehen, ist sicherlich die eine oder andere Träne geflossen. Wer lässt geliebte Menschen schon gerne ziehen. Dass der hochveranlagte Joris am Ende aber mit leichtem Herzen gehen kann, wird ihm seinen Neustart im Berliner Markt der Möglichkeiten, der aber eben auch umkämpft ist, sicherlich erleichtert haben. Und dass sein Großvater ihm noch sein altes Rennrad mitgibt, ist bis heute mehr als Gefühlsduselei, vielleicht hilft ihm dieses schicke Accessoire aus einer kleinen Anekdote auf einem Weg, der weit über Berlin hinausführt.
Wir haben mit Joris Biesmans gesprochen und hätten am liebsten gar nicht mehr aufgehört zu reden. Der Mann produziert nicht nur großartige Musik, sondern auch sehr spannende Geschichten aus einem bewegten Künstlerleben.
Lieber Joris, wir reden an einem Donnerstag; was ist dieser Donnerstag musikalisch für ein Tag? Eher House oder Metal?
(lacht). Das ist eine gute Frage für den Start. Ganz klar eher House. Aber ich muss Dir gestehen, ich habe mich heute noch gar nicht mit Musik beschäftigt. Vor unserem Gespräch saß ich auf dem Rad und habe ein wenig Spinning gemacht. Das brauchte ich, um die nötige Energie zu bekommen für den Flow, den ich für den Tag brauche. Die meisten Tage verbringe ich bis 19, 20 Uhr im Studio, da brauche ich eine gewisse Power.
Du bist wahrscheinlich auch berufsbedingt eher Nachteule, oder? Gilt das auch für die Tage, an denen Du nicht arbeitest?
Nein, eigentlich nicht. Meine Gigs liegen am Wochenende, da wird es natürlich abends spät und morgens stehe ich nicht früh auf – das geht gar nicht. In der Woche ist das anders: Wie eben schon beschrieben, komme ich spätestens um 20 Uhr aus dem Studio zurück und muss abends dann auch abschalten.
Fangen wir mal vor etwa zehn Jahren an: Wir schreiben das Jahr 2013 und Du machst Dich auf den Weg aus einem eher kleineren Ort in Belgien in die Metropole Berlin; warum? Was hat Dich gezogen?
Also zunächst möchte ich betonen, dass ich meine Heimat wirklich liebe. Das ist eine tolle Gegend dort mit der Nähe zu zwei anderen Ländern, den Menschen, der besonderen Mentalität. Ich hatte eine tolle Kindheit und bin immer wieder gerne auch zurück. Wenn ich jetzt aber meine Künstlerperspektive einnehme, muss man auch sagen, dass es in meiner Heimat Belgien keine wirkliche Industrie gibt für die Musik, die ich produziere. Es fing schon eine gewisse Zeit vor 2013 an, als mir klar wurde, dass ich gehen muss, wenn ich in diesem Genre etwas erreichen möchte, das mich finanziert.
Für Berlin habe ich mich entschieden, weil die Clubszene dort weltweit eine gewaltige Reputation hat. Zu Recht übrigens. Es gibt eine Menge großartiger Clubs und eine sehr kreative Atmosphäre. Natürlich hätte ich auch nach London gehen können oder andere Orte, aber irgendwie war klar, ich will nach Berlin. Dass ich die Sprache schon ganz gut verstanden habe, weil ich in der Nähe der Grenze aufgewachsen bin, hat auch geholfen. Hier in Berlin war mein Deutsch dann innerhalb von sechs Monaten schon ziemlich okay – auch dank meines ersten Mitbewohners.
Was zeichnet Berlin aus? Auf mich wirkt die Stadt extrem ambivalent, kreativ, unbegrenzt, wild einerseits und zu laut, zu narzisstisch, verrückt andererseits. Kennst Du diese Ambivalenz auch?
Ich glaube, ich weiß, wovon Du sprichst. Berlin ist gnadenlos narzisstisch. Aber wahrscheinlich ist das auch das Geheimnis der Stadt. Es ist Teil auch unserer Szene, mit einem großen Selbstbewusstsein übers Limit zu gehen. Allerdings konnte ich bisher nicht feststellen, dass sich dieser Narzissmus stark in der Musik spiegelt, er prägt eher die Szene drumherum.
Berlin gibt mir eine Energie, die ich sonst nirgendwo finde. Berlin pusht mich und nicht nur mich, auch viele andere Künstler. Und der Umstand, dass so viele Künstler hier sind, ist wahrscheinlich auch der Grund für diese kreative Energie, die man hier so deutlich fühlt.
Hier fällt es nicht schwer, sich immer wieder neu zu erfinden. Und dazu bist du in dieser Stadt gezwungen: als Musiker musst du dich immer wieder neu erfinden, sonst wird es schwer.
Du kommst nach Berlin und landest im „Watergate“, einem der heißesten Clubs der Stadt; wie ist das passiert?
Schon ein bisschen verrückt, oder? (lacht) Um ehrlich zu sein hatte ich ein bisschen Geld gespart, das mich ungefähr ein Jahr tragen sollte. Ich wollte mir unbedingt Zeit geben, um in der Stadt anzukommen, sie zu verstehen, Kontakte zu knüpfen. Der Kontakt ins „Watergate“ kam über eine alte Mitbewohnerin. Sie suchten einen Techniker. Ich habe über Facebook dann eine Bewerbungsmail an den Club geschrieben und es hat tatsächlich geklappt; ich durfte anfangen und es hat von Anfang an alles sehr gut funktioniert. Es war sehr harmonisch und sie haben schnell gemerkt, dass es schon ein großer Vorteil ist, wenn der Haustechniker selbst auch Künstler ist. Das sorgt bei den Gastmusikern von Anfang an für eine gute Atmosphäre.
Irgendwann hatte ich dann mal den Mut zu fragen, ob ich meine eigene Musik mal auflegen darf; das war ein entscheidender Punkt. Kurz danach habe ich als Techniker aufgehört und mache nur noch Musik, dieser erste Versuch hat also ganz gut funktioniert.
Und jetzt kümmert sich das „Watergate“ quasi ganzheitlich um Dich als Künstler.
Ja, das stimmt. „Watergate“ ist viel mehr als nur ein Club mit ziemlich begehrter Auftrittsmöglichkeit. Die Organisation dahinter bietet dir Management, Booking und einen Verlag, der dir Musik verlegt und rechtlich schützt. Also exakt die Bandbreite an Betreuung, die Du Dir als Künstler wünschst. Es gibt kurze Wege und absolutes Vertrauensverhältnis.
Was war vor Berlin? Künstlerisch, aber auch persönlich? Was ist Deine Profession?
Meine ‚Erweckung‘ in Sachen elektronischer Musik hatte ich im Alter von 12 Jahren ungefähr. Vorher spielte Musik natürlich auch schon eine Rolle, klar, mit 12 habe ich aber einen Fokus entwickelt und angefangen, selbst elektronische Musik zu machen. Das hat sich Stück für Stück weiterentwickelt und endete mit einem Bachelor-Abschluss im Studienfach „Elektronische Musik“ an der Hochschule in Hasselt. Hasselt ist eine Stadt ziemlich genau in der Mitte von Belgien. Danach musste ich für mich dann überlegen, wie es weitergeht und habe mich für den Schritt nach Berlin entschieden.
Gibt es jemanden oder einen Stil, den Du als Deinen musikalischen Peer bezeichnen würdest?
Das ist schwierig zu beantworten, weil ich schon einige Einflüsse hatte: Belgische Popmusik, Rockmusik von Bands wie Guns n’ Roses, ich habe Pennywise geliebt mit ihrem Melodic Hardcore Punk, aber auch den Euro-Dance der Neunziger wie Snap und so was, der übrigens unter anderem auch in Deutschland produziert wurde. Irgendwann wurde es dann immer elektronischer und ich habe mit meinem Bruder im Keller selbst Trance gemacht.
Ehrlich gesagt, ich bin nicht in elektronischen Genres zuhause, eher in den konventionelleren. Was mir aber auffällt, dass Deine Songs allesamt superkreativ, fast schon verspielt wirken, aber trotzdem immer klaren Strukturen folgen, und wirklich faszinierenden Hooks haben. Wie entstehen Deine neuen Kreationen?
Mir ist „out of the box”-Kreativität sehr wichtig. Ich möchte nicht grundsätzlich irgendeine Möglichkeit, ein Instrument, eine Melodiefolge oder irgendetwas anderes bei der Komposition ausschließen. Dabei versuche ich aber immer auch, meinen eigenen Sound zu entwickeln.
Es startet mit einer Melodie, einer Grundlage. Lustigerweise kommen mir viele Ideen auf dem Fahrrad, einem Rennrad von 1975, das mir mein Opa geschenkt hat, als ich nach Berlin gegangen bin. Ich habe es hier restaurieren lassen und jetzt fahre ich auf einem tollen Bike durch Berlin und „Bäm“, da ist eine Idee, oft DIE Idee.
Ein Rennrad als Füllhorn für Kreativität sozusagen?
Das klingt gut, aber was ist ein Füllhorn? Das deutsche Wort kenne ich tatsächlich noch nicht.
Oh, ich glaube, das kommt aus dem Lateinischen. Es kommt aus der Mythologie und beschreibt ein Symbol des Glücks, eine Art längliches Gefäß, aus dem nicht endender Reichtum fließt. In Deinem Fall sorgt das Rennrad also für nicht endende Kreativität und Ideen.
Okay, ich weiß, was Du meinst. Das ist ein super Bild, ja, das kann man so sagen. Ich habe für die weiteren Schritte dann schon einen Plan, das ist sehr wichtig. Jeder Plan hat aber auch eine Menge Freiräume für Spontanität und Kreativität. Und, wie gesagt, am Ende funktioniert der Song über eine gute Melodie.
Ich bin beim Querhören mehrere Male gestolpert; Du hast eine sehr, sehr große Bandbreite in den Kompositionen, manchmal wie eben besprochen extrem reich, mitunter aber auch fast schon puristisch gemessen an anderen, etwa beim hervorstechenden Song „Save the Night“; inwieweit bist Du beim Komponieren von Stimmungen beeinflusst?
„Save the Night“ gefällt Dir? Das freut mich.
Ja, Stimmungen spielen für kreative Menschen sicher immer eine Rolle, für mich auch. Lass es mich so zusammenfassen: Ich schaffe das, was ich fühle und da ist sehr viel Sonne in meinem Leben, das kann man auch in meiner Musik hören.
Kommen wir zu Deiner Ausstattung: Du bist seit geraumer Zeit bereits KORG Endorser; warum?
Ich bin sehr glücklich über dieses Endorsement, das möchte ich unbedingt loswerden. Vielleicht zunächst eine allgemeinere Antwort: KORG Hard- und Software fasziniert, weil es den Künstlern immer wieder neue Welten zeigt. Man bekommt einen Werkzeugkasten zur Verfügung gestellt, der dich als Künstler immer im Blick hat und der deine Kreativität auf eine sehr gute Weise pusht. Man könnte auch sagen, dass KORG Produkte mich als Menschen ergänzen. Das ist wohl auch der Grund, warum ich KORG wirklich extrem schätze. Hinzu kommt der Vintage-Gedanke beim Design, die Wertschätzung der Vergangenheit. Ich liebe die roughen, fast schon aggressiven Synths und die wahnsinnig guten Sounds, die ich über verschiedene Plattformen bekomme.
Der ARP 2600 M ist zwar ein legendärer Synthie mit Ruf wie Donnerhall, dennoch taucht er in Videos und auch grundsätzlich nicht so häufig auf; bei Dir schon. Was fasziniert Dich an dieser Legende?
(lacht). Stimmt, er ist ja auch nicht zu übersehen. Der ARP wird nie wieder aus meinem Studio verschwinden, nie wieder. Schon bei der ersten Begegnung war mir das klar. Das ist, wie Du sagst, ein legendärer Synthie, der schon in den Siebzigern für große Begeisterung unter Musikern sorgte. Mir gefällt das semi-modulare Konzept, die Adaptionsfähigkeit im Studio und über allem die extrem coolen Sounds. Das ist viel mehr als Bass oder Lead.
Ein wahnsinniges Gerät.
Das gilt übrigens aber auch für den MS-20, den ich auch besitze und für meine Musik einsetze. Natürlich ist die Musik in mir, in meinem Kopf, meinem Herz, meiner Seele, aber ohne die richtige Hardware könnte ich sie nicht entwickeln, nicht zum Ausdruck bringen, sie zu den Menschen bringen. Wie gesagt, ich bin sehr dankbar über dieses Endorsement und liebe die Produkte, die Möglichkeiten, die KORG mir als Künstler bietet.
Deine Studio-Shows sind sehr erfolgreich und bekommen eine Menge Lobhudelei. Wie geplant sind die eigentlich? Was ist spontan?
Schon sehr gut geplant und durchgetaktet. Die Technik muss ja tatsächlich auch vorbereitet werden und ich setze eine Menge Technik ein. Bei einem Gig ist es schon manchmal so, dass ich einen Song etwas länger laufen lasse oder eine Sequenz anbaue, aber die Studio-Shows sind sehr genau geplant.
Welche Instrumente kannst Du spielen?
Ich habe schon Tasten gelernt, bin aber nicht so gut und habe auch erst mit 26 Jahren Unterricht bekommen. Sonst spiele ich keine weiteren Instrumente, aber ich verstehe sie und die Technik drumherum sehr gut. Das hilft mir natürlich auch bei der Entwicklung von Musik. Meine Kompositionen sind meistens auch nicht besonders kompliziert oder mit komplexen Melodien belegt.
Wie sieht ein Tag für Dich auf Tour aus?
Weißt Du, die Wirklichkeit ist meistens schon anders als die Vorstellung, die sich viele Menschen davon machen. Viele denken, dass Künstler rund um die Uhr Party machen und das ist dann das Leben. Klar, wir haben auch Partytime, aber ich kann für mich sagen, dass ich besonders auf Tour sehr diszipliniert bin: Ich meditiere nach dem Aufstehen. Wenn ich am Abend vorher gespielt habe, frühstücke ich möglichst gesund und meditiere danach. Ich beschäftige mich dann meistens mit Musik, suche neue Inspirationen, höre sehr viel, bereite vielleicht einen Gig am Abend vor, gehe zum Soundcheck und dann zum Auftritt.
Gibt es so etwas wie einen schönsten Moment in Deinem Musikerleben?
Ganz klar meine erste Live-Show in Brasilien 2021. Es ist ein sehr besonderes Gefühl, wenn du am anderen Ende der Erde an einem wirklich schönen Ort (Porto Alegre, Anmerkung der Redaktion) Musik für Menschen machen darfst, die nur für dich gekommen sind. Das war schon sehr cool.
Das ist absolut nachvollziehbar und passt gut zur letzten Frage, die ich an Dich habe. Welche Musiker hast Du selbst auf dem Radar? Welche Musik hast Du zuletzt gekauft?
Das war die neue Platte von OVERMONO, „Good Lies“. Ich liebe tatsächlich Platten sehr, habe ungefähr 2000 hier in Berlin und sicher nochmal so viele im Keller in Belgien.
Und das ist dann wohl der letzte Beweis für deine tiefe Liebe zur Musik. Vielen Dank für Deine Zeit, Joris. Alles Gute und viel Erfolg weiterhin.
Sehr gerne. Vielen Dank Dir.