Großer Sound für kleines Geld

Den schicken Analog-Synth – oder doch lieber sechs Wochen Bahamas? Heute dank KORG keine Frage mehr. Vor 30 Jahren schon…

Es ist noch gar nicht so lange her, da kannte man bei Besuchern der Keyboard-Abteilungen einschlägiger Musikalienhändler gerade mal zwei Gesichtsausdrücke: Selig entrücktes Lächeln und entgeistertes Starren. Ersteres beim Abhören der amtlichen Groß-Synthesizer vom Schlage eines KORG PS-3300 – mit den Ausmaßen eines Kühlschranks und einem Gewicht, das dem der Bodybuilder gleich kam, die man brauchte, um das Ding auf die Bühne zu schleppen. Und letzteres: Beim Lesen des Preisschilds, das bei manchem dieser Über-Instrumente ähnlich breit ausfallen konnte wie die Tastatur. Damit die vielen Zahlen drauf Platz finden. Die vor dem Komma, selbstredend. 

Preisschilder voller Nullen – vor dem Komma

Dabei wusste damals jeder von uns: „Hätt‘ ich nur einen KORG XXX“ – hier können Sie gerne alles einsetzen, was Tasten hat und ein Baujahr vor: sagen wir 1978 –, dann wäre das mit dem Chart-Hit nur noch eine Sache von Stunden. Inklusive Starschnitt in der Bravo, Interviews im Rolling Stone und standing ovations, nachdem das letzte Release des Wunderkerzen-tauglichen Monster-Teppichklangs im ausverkauften Stadion verklungen ist. War aber nix – schlicht zu teuer, das schlanke Zeug. Drummer konnten nach einer ähnlichen Schrecksekunde immerhin noch Sticks für ein paar Mark Fünfzig aus dem Laden tragen, um ihr Gesicht zu wahren. Der desillusionierte Keyboarder dagegen strich höchstens einmal über das ultramoderne, rot glimmende Siebensegment-LED-Display seiner unerreichbaren Liebe und hoffte, dass wenigstens etwas analoger Staub hängenblieb. 

Auto oder Synthie?

Das heisst: Stimmt nicht ganz. Kataloge immerhin konnte man mitnehmen! Manche Läden schickten die einem sogar zu; Veteranen, die damals einschlägige Spezialgeschäfte geführt haben, rollen heute noch mit den Augen, wenn sie sich an die vielen Umschläge voller Prospekte erinnern, die sie auf Anfrage in die Welt raushauen mussten. Einige der alten Preislisten, die man zuhause aus dem Umschlag zog, nachdem man die Synth-Flyer feierlich in den Proberaum gehängt hatte, haben bis heute überdauert; daran kann der Synth-Archäologe jetzt ablesen, wie geläutert man damals aus der Synth-Abteilung des Stores wankte: Selbst für Monosynths wie den ARP Odyssey (obwohl der immerhin schon eine Art cleverer Behelfs-Duophonie an Bord hatte) wurden Ende der 1970er noch Beträge deutlich oberhalb der 2.000-Mark-Schwelle aufgerufen – und oft auch hingeblättert, wir hatten ja damals nix anderes, Kinder. Nice-Price-Alternativen: Schlicht nicht in Sicht oder doof. Wohlgemerkt: Wir reden von Jahren, in denen die stahlharte Deutsche Mark noch richtig was wert war! Über den Daumen gepeilt und inflationsbereinigt etwa so viel wie ein Euro heute. 

Für amtliche Polysynths wanderten in dieser Zeit erst Recht teilobszöne Beträge zwischen 5.000 und weit über 15.000 Mark bzw. Euro von einer zitternden Hand in die andere. Zum Beispiel für den eingangs erschwärmten – vollpolyphonen! – PS-3300: 17.325 Penunzen, für viele 1975er-Normalos war das in etwa ein Jahresverdienst, nix dran zu rütteln. Dafür war immerhin eine Remote-Tastatur im Karton, die über ein daumendickes Kabel an das Monster angeflanscht werden musste. Und nicht nur die seidige Öligkeit der 48-stimmigen drei Oszillator-Power brachte damals Syntheseteppichleger und Feuerzeugschwenker um den Schlaf: Die bös‘ fixen Hüllkurven konnten unvorsichtigen Nerds durchaus die Hornbrille von der Nase peitschen. Dagegen war der PS-3200, schon für 11.995 Mark über die Schwelle zu tragen, fast ein Schnäppchen. Dabei konnte der sich sogar schon Soundprogramme merken, ganze 16 Stück; die Fernbedienung für die Klangspeicher war etwa so groß wie die Dinger, mit denen man heute im Hamburger Hafen Schwerlastkräne fernsteuert. 

Wer selbst für derlei gepflegtes Understatement zu knauserig war, konnte sich immerhin einen PS-3100 in den Kofferraum wuchten, quasi die vollpolyphone Variante des MS-10: nur 5.460 Ocken, dafür mit einem chicen Resonator, dem man damals bereits bemerkenswert alieneske Klänge entlocken konnte. Der 3100er galt zwar auch als „frei programmierbar“ – das bedeutete damals aber nur: alles hat einen eigenen Knopf. Aber so war das … einem Vintage-Zeitungsartikel aus dieser Zeit kann man sogar entnehmen, dass die Kiste auch „natürliche Klänge wie Piano, Streicher, Bläser oder Harfe, um nur einige zu nennen“, erzeugen konnte. Die müssen sich später, als die Sampler kamen, irgendwo ganz tief im Gehäuse versteckt haben, aber was dafür an elektronischem Gesäusel rauskam, das ist heute noch Kult. Übrigens: Suchen Sie mal einen polyphonen Synthesizer mit einem Klinkenkabel-Patchfeld! Atom-kraftwerk-Schalttafel-Feeling beim Legen silbriger Teppiche, schimmernd wie die Abendsonne über einer Pinguin-Kolonie: Allein dafür lohnte sich die Anschaffung!

90.000 Mark und nicht mal Holz-Seitenteile

Für Kisten, die etwas später schon das extrem angesagte digitale Geröchel konnten, waren aber selbst diese fünf bis 17 Kiloeuro noch weit unter der Baumgrenze. Daneben und neben „Musikcomputern“ – mit deren geballter Rechenleistung man heute keine Armbanduhr mehr betreiben könnte – standen um 1984 herum diskret Preisschilder irgendwo zwischen 23.000 und 90.000 Mark. Und die Dinger hatten nicht mal Holzseitenteile. Apropos: Wollte man einschlägige Synths mit seinem „Heimcomputer“ verbinden, etwa einem Apple II mit 48 Kilo-Byte (!) Speicher, war ein Interface fällig, für das man sich Butter im Wert von 1.600 Mark vom Brot sparen musste. Oder besser: das Brot auch weglassen. Kein Wunder, dass man selbst Peter Gabriel nachsagt, er habe den UK-Vertrieb für eine dieser Kisten nur übernommen, weil selbst er sich die Teile nicht leisten konnte. 

Aber diese KORGschen PS-Boliden aus der Analog-Steinzeit lieferten zum Glück nur den sonoren Startböller für die dann folgende Story. „KORG, das ist einer der heißesten Namen im Synthesizer-Business und einer der schnellsten Aufsteiger,“ konnte man damals einer zeitgenössischen Publikation entnehmen. „Wusste noch vor 2 Jahren kaum jemand etwas mit dem Namen KORG anzufangen, hat KORG während der letzten 12 Monate neue Produkte für Musiker aller Größenordnungen auf den Markt gebracht, die viele alte Hasen aufhorchen ließen.“ 

Setzen wir uns also eine Weile neben die horchenden Hasen und schauen mal, was die KORG-Jungs da so zum gepflegten Krachmachen ins Feld führten. Zum Beispiel die Kult-Monos MS-10 und MS-20 sowie den elusiv düsteren MS-50, made Anno Domini 1978 – im Prinzip ziemlich smart runtergerenderte Versionen ihrer PS-Dickschiffe, die auch vortrefflich röhren, schmatzen und bratzen konnten. Sogar das Steckfeld für die Modular-Experience hatte man ihnen gegönnt – das zieht bis heute. Harfen und Pianos erwartete damals zum Glück niemand mehr im Ernst von diesen Kisten, die so schwarz waren wie ihr unrasierter Klang. Dafür waren sie ein freundliches Schulterklopfen für alle, die mangels Kohle bis dahin höchstens an einem modifizierten Xylophon für ihre Karriere als Star-Keyboarder üben konnten. Original MS-20-Listenpreis: 1.590 Mark, etwa 1.600 Euro also, für den MS-10 wollte man beim Marburger Vertrieb gar nur 935 Kröten springen sehen. Das war dann fast schon Ferienjob tauglich. Vorausgesetzt, man erwischte einen guten: Ende der 1970er Jahre brachte ein durchschnittlicher Arbeitnehmer im Monat brutto etwa um die 1.000 DM nach Hause.

Auf dem Weg nach Digitalien

1981 zog sich dann auch ein neuer Poly aus dem KORG-Boxstall die Lederjacke an, um die adipösen PS-Kleiderschränke gepflegt an die Seite zu drücken: Der Trident, zuerst noch mit Knöpfen in schicker PS/MS-Schwebungssummer-Optik, später, etwas überarbeitet, mit dezenteren Polysix-Potikappen. „Man wird noch von ihm hören“, schreiben die KORG-Jungs prophetisch in einem zeitgenössischen Katalog mit dem selbstbewussten Titel „Geräte für den Sound der Achtziger Jahre“. Heute mutet der Folder an wie die Speisekarte eines Edelrestaurants, aber warum auch nicht: Dort hätte man mit dem ungehobelten Low-End eines einzigen Trident-Akkords die gestärkten Tischdecken flattern lassen können. 

Direkt neben dem Trident abgebildet, zu der Zeit allerdings schon auf dem Weg zu einer Art Quastenflosser der String-Synth-Ära: Der darthvaderige KORG Delta, der laut Flyer „den Klang der 80er Jahre prägen“ sollte. Was nicht ganz geklappt hat, weil der neue Trident ja auch eine String-Sektion implantiert hatte. Aber der Delta hatte immerhin schon den kultigen „Multi-Joystick“ an Bord, der später, an einem anderen KORG-Instrument, den Sound der 90er definierte. Ahnen Sie, welches? Denn wie es danach weiterging, wissen Sie bestimmt. Der erwähnte Polysix schlüpfte, vom Trident-Erfolg ausgebrütet, machte Furore und brachte watteweiche Teppiche und resonante Poly-Puaus endlich auch in die Studios von Leuten, die nicht Klaus Schulze, Jean-Michel Jarre oder Vangelis hießen und mal locker den Jahresverdienst eines Maurers in ein Ding mit Tasten stecken konnten. Und kurz darauf brachten uns M1 und Wavestation (das ist sie, die Kiste mit dem Joystick!) auf die Autobahn nach Digitalien. Sicher: Auch diese Kisten und ihre Nachfolger hatten ihren Preis – sie waren schließlich Tickets in ganz neue Klangwelten. Aber die 17.000 Mark-Luftnot der 1980er Jahre war spätestens damit trotzdem Geschichte – endlich konnte man auch mal spontan in den Musikladen gehen und staunen, ohne danach mit Bankberater oder Freundin ein bedrückendes Gespräch führen zu müssen, das Haus zu verkaufen oder der Welt aus Frust gleich ganz zu entsagen. 

Hightech zum Taschengeld-Preis

Und heute? Eins ist jetzt klar wie eine kühle Quinte an einem hellen Frühlingsmorgen: Die Technologie, die zum Beispiel die Volca-Rasselbande rattern, klöppeln und kreischen lässt, hätte noch vor 30 Jahren so viel gekostet wie ein Urlaub auf den Bahamas. Inklusive Schampus aus massiven Goldbechern und Kokospralinen aus der Hand weiß gewandeter Damen mit Sonnenhut, rund um die Uhr. Für irgendetwas mit drei Oszillatoren wär‘ man Anfang der 1980er über Monate zu Fuß gelaufen, weil der Sportwagen nun mal für die erste Synth-Rate zum Händler gegangen ist – und zwar mit einem Lächeln auf den Lippen.  

Wer sich heute einen Volca Keys vom Haken nimmt, darf daher ruhig einmal kurz überlegen, was zum Beispiel ein Rick Wakeman 1978 für ein ähnliches Gerät hergegeben hätte: Drei fette analoge Oszillatoren, Filter mit Charakter – und ein Step-Sequencer ist auch noch drin! Auch für KORGs Stepsequencer-Mutterschiff SQ-10 hat man um 1978 herum noch einen lockeren Tausie über den Ladentisch geschoben. Auch wer mit vorgeklöppelten Rhyth-men a la Bossanova, Mambo & Co zufrieden war, kam bei den KORG-Klopfern KR-55 und KR-33 („Neueste Digitaltechnik macht diese naturgetreuen Klänge möglich“) nicht viel günstiger weg. Und die steckt sich ein Volca Sample heute sowas von locker ins Knopfloch. Aber das ist jetzt wirklich ein anderes Thema.

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