Leidenschaft aus dem „Liverpool Spaniens“

Granada, Hauptstadt der gleichnamigen Region im spanischen Andalusien, knapp eine Viertelmillion Einwohner, 60.000 Studierende, seit Jahrhunderten ohne größere Konflikte multikulturell beeinflusst, Touristen-Attraktion, und Ort einer bisweilen atemberaubenden mittelalterlichen Architektur. Die Heimat von José Antonio Garcia Soler alias KID SIMIUS ist zweifelsohne ein kleines Paradies und hat unseren heutigen Gesprächspartner auch nachhaltig geprägt. Warum ein Kind aus der Sonne einen wundervollen Ort gegen einen eintauscht, dessen Identität auch graue Tage in Serie kennt, haben wir natürlich gefragt. Und wie man es schafft, innerhalb kürzester Zeit eine Referenzliste anzuhäufen, die andere mit Jahrzehnten im Business nicht schaffen.

Wahrscheinlich verweist die Antwort auf diese Frage auch auf den Umstand, warum unser Gast derzeit wohl einer der spannendsten Musiker der deutschen Hauptstadt ist. Überhaupt gehört KID SIMIUS zu den innovativsten und kreativsten Künstlern einer regen elektronischen Szene, ein Trendsetter im Wortsinne. Einer, bei dem man(n und frau) ganz genau hinhören, wenn die diversen bespielten Kanäle neue Sounds verkünden. Und einer, der seit langer Zeit mit großer Liebe und tiefer Überzeugung KORG Hardware nutzt, was uns sehr stolz macht.   

Kid Simius ©Julia Groll
© Julia Groll

José, endlich ist es warm, der Sommer ist da. Wie verändert das Deinen Blick aufs Leben und die Musik?

Oh, das ist eine schöne Einstiegsfrage, weil sie tatsächlich für mich sehr wichtig ist. Ich brauche die Sonne, und ich brauche auch die Wärme; ich bin dann viel weniger schnell gestresst. Der Winter ist ganz schlimm für mich. Aber wahrscheinlich geht das vielen Südeuropäern oder auch Lateinamerikanern so, die einen Winter in anderen, kälteren Teilen Europas verbringen. Es ist hart, auch, wenn ihr das vielleicht nicht so richtig verstehen könnt…

Doch, doch, mir geht es ähnlich, obwohl ich hier geboren wurde und den Winter eigentlich kennen sollte, vielleicht sogar mögen. Aber ich verachte ihn eher.  

Dann bist Du vielleicht auch Spanier. (lacht) 

Sagen wir mal so: Mein Blick aufs Leben und die Musik verändert sich nicht grundsätzlich, aber für die Wintermomente schon irgendwie. Zunächst einmal habe ich in dieser Zeit deutlich weniger Gigs. Diesen Umstand versuche ich immer zu nutzen, um mehr Musik zu entwickeln. Die ist dann aber häufig melancholischer, härter, als meine Sommer-Sounds; die haben mehr Energie. Ich bin schon davon überzeugt, dass die Jahreszeiten den Charakter der Menschen beeinflussen. 

Wie sieht unabhängig von der Jahreszeit ein guter Tag für Dich aus?

Der perfekte Tag für mich ist einer, an dem ich Qualitätszeit mit meiner Familie hatte, gutes Essen, meditieren und Sport machen konnte und natürlich im Studio war. 

Richtig gute Tage sind die, an denen ich im Studio etwas entwickle, bei dem ich sofort merke, dass es geil ist und es kaum abwarten kann, den Song live zu präsentieren. Und wenn ich neue Hardware bekomme und sich das Gefühl einstellt, dass ich damit die krasseste Musik der Welt machen werde. (lacht)

Du lebst als Künstler ein kreatives Leben; kennst Du überhaupt Stresssituationen und, falls ja, wie gehst Du mit Ihnen um?

Ja, klar. In jedem Leben gibt es Stresssituationen. Wichtig ist, die richtigen Wege zu finden, um damit umzugehen. Ich habe irgendwann mal festgestellt, dass Stressmomente meistens ihren Ursprung in mir selbst haben. Bei Künstlern ist es während des Schaffensprozesses häufig so, dass einfach nichts kommt, keine Idee, keine Melodie, es ist nichts da. Das ist auch ein Teil dieses kreativen, aufregenden Lebens, den man akzeptieren muss. 

Ich bin in diesen herausfordernden Situationen mittlerweile viel freundlicher, viel geduldiger mit mir selbst geworden und habe Wege gefunden, sie zu verkürzen: Kein Alkohol mehr, ausreichend viele Pausen, viel Sport, zum Beispiel Basketball, Fitness oder auch Laufen. Ich meditiere intensiv. Mir hat auch das Buch „The Way of the Artist“ von Robert Wuthnow sehr geholfen, wo diese Situationen sehr gut beschrieben werden und Wege damit umzugehen. 

Was mir eigentlich auch ganz gut gelingt: Ich verliebe mich immer wieder aufs Neue in die Musik. Es war lange Zeit mein Hobby, jetzt ist es mein Beruf, das spielt aber keine Rolle: Ich begeistere mich immer wieder neu für Musik.   

Lass uns mal über Deine Heimat reden: Granada, für viele Deutsche ein begehrtes Reiseziel, für Dich war es Teil Deiner Normalität, Deines Alltags. Wie lebt es sich im Urlaub?

(lacht). Oh, super. Es ist wunderschön da. Ich liebe Granada. Über das Wetter und die äußeren Umstände haben wir ja schon ein bisschen gesprochen. Dazu kommt, dass es eine sehr studentische, also junge Stadt ist, sehr lebendig mit einer starken, kreativen Kulturszene. Kunst und Musik sind allgegenwärtig. Die Szene und die Stadt insgesamt wurden sehr stark beeinflusst von Federico Garcia Loca, einem ziemlich bekannten Lyriker, der aus Granada stammt und zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs erschossen wurde. Eine zentrale Figur für die kulturelle Identität Granadas und eigentlich auch ganz Spaniens. 

Dazu kommt eine sehr beeindruckende Architektur in der Stadt. Klar, über Geschmack lässt sich immer diskutieren, aber ich habe noch keinen getroffen, dem die vielfältige Architektur nicht gefallen hätte. 

Vielleicht kann man es so zusammenfassen: In Granada ist es sehr schön und es passiert immer irgendetwas, es ist nie langweilig, es ist immer kreativ; man nennt Granada übrigens auch das ‚Liverpool Spaniens‘.

Das wusste ich gar nicht. Interessanter Vergleich. Wie bist Du in dieser schönen und dann ja auch aufregenden Umgebung aufgewachsen? Welche Rolle hat Musik gespielt?

Ich hatte eine ziemlich normale Kindheit. Klar, wie überall in Spanien mit Fußball, aber noch mehr Basketball. Granada ist eine Basketballstadt. Die ganze Stadt liebt den Verein und diesen Sport. 

Super. Ich wohne in Gießen, hier ist es ganz genauso. Wir leben und leiden diesen Sport. 

Ja, ich weiß genau, was Du meinst. Für uns geht es in dieser Saison gegen den Abstieg aus der ersten Liga. Und ich leide sehr. 

Naja, auf jeden Fall habe ich Sport gemacht. Musik ist erstaunlicherweise in unserer Familie aber nie wirklich vorgekommen, es war fast schon ein Tabu, vor allem, aktiv Musik zu machen. Wir sind alles andere als eine Musikerfamilie. Dieser Umstand hat mich dann irgendwann aber richtig angezogen. Vielleicht wäre ich ohne diese Voraussetzung heute ein anderer Künstler, vielleicht gar keiner, wer weiß.  

Es gibt in Spanien einen Alltag ohne Musik?

Vielleicht nicht ganz ohne, aber aktiv hat in meiner Familie nur mein Onkel Musik gemacht, er war Bassist. Er war übrigens auch derjenige, der mein künstlerisches Talent gesehen und gefördert hat. Ich habe eigentlich ganz lange Zeit nicht gespürt, dass ich ein musisches Talent habe; an mühsamen Tagen stelle ich es heute manchmal noch in Frage. (lacht)

Der Weg in die elektronische Musikszene, in der ich mich heute bewege, war dann irgendwie einer, den ich durch Umstände gefunden habe. Ich hatte schon Lust, in einer Band Musik zu machen, Gitarre zu lernen war mir aber zu anstrengend, zu mühsam vielleicht auch. Außerdem war ich schüchtern und dachte, ich sei auch zu schlecht. Flamenco und die klassische spanische Musik oder auch der ganze Singer-Songwriter-Kram kam also auch nicht in Frage, obwohl ich es eigentlich immer auch ganz gerne mochte. 

Mein Durchbruch kam mit einer Software, auf die ich irgendwann Zugriff hatte. Damit konnte man Musik am Rechner zusammenbauen. Das war etwas für mich, das habe ich sofort gemerkt. Von diesem Moment ging es dann superschnell los: Eigene Songs, eigene Sounds, Techno, Drum’n’Bass, Partys. Und Granada ist mit seinen vielen jungen Leuten auch genau der richtige Startpunkt. Das war eine wirklich spannende Welt plötzlich.    

Dann aber doch erst mal der normale Weg: Schulabschluss und Studium? Hattest Du Angst vor der eigenen Courage?

Nein, nein. Das nicht. Aber manchmal ist es vielleicht auch gar nicht so dumm, überlegter und langsamer vorzugehen. Und vielleicht stimmt dieser Satz auch von dem Propheten, der im eigenen Land nicht so viel zählt. In Granada bin ich mit meinen gebrannten Demo-CDs von einem Club zum nächsten gezogen, habe alles gegeben, alles getan und wurde trotzdem ignoriert; in der ganzen Zeit bin ich nur einmal eingeladen worden.  

Im Rahmen meines Studiums bin ich dann nach Oslo gegangen und habe dort das Gleiche versucht: Mit einer gebrannten CD unterm Arm Clubs abklappern. Das Ergebnis war aber wesentlich besser, weil ich in einem dieser Clubs dann tatsächlich auch mehrere Male auflegen durfte. Oslo war insgesamt eine super Erfahrung, weil ich dort auch Chris kennengelernt habe, einen Kumpel von Marteria, der mir in meiner Anfangszeit in Berlin auch sehr geholfen hat. 

Das Stichwort: Berlin.  

(lacht). Ja, Berlin. Los geht’s. 

Ich hatte vor wenigen Wochen ein interessantes Gespräch mit Biesmans, der auch aus dem europäischen Ausland, in dem Fall Belgien, nach Berlin gegangen ist. Was macht Berlin so spannend? Warum war es für Dich der richtige Schritt, nach Berlin zu gehen?

Joris ist ein guter Freund, ein super Typ. Ja, warum Berlin? Ich glaube, dass Berlin in Europa vielleicht die Stadt der Chancen ist. Berlin ist ein Melting Pot an Menschen und Kulturen, und Berlin hat sich schon immer das gewisse Etwas bewahrt gegenüber dem Rest des Landes. 

Im Grunde ist vieles möglich, es gibt unendlich viele Chancen, auf den ersten Blick ein Vorteil, man kann sich aber auch in dieser Stadt und ihren Möglichkeiten verlieren. Mir war es sehr wichtig, fleißig und fokussiert zu bleiben. Das war mein Ziel, als ich hierhin kam und das habe ich auch ganz gut geschafft. 

Bisher war Berlin immer sehr gut zu mir. Berlin hat meine Erwartungen bei weitem übertroffen, wenn man mal vom Winter und den Regentagen absieht. (lacht) Ich kam mit 21 Jahren in die Stadt und es ging sofort los. Am Anfang konnte ich direkt einen Wettbewerb gewinnen, dann war ich plötzlich Teil der Band von Marteria, habe weiter auch eigene Sachen produziert und veröffentlicht, wurde für Gigs gebucht. Ich hatte sofort die Möglichkeit, Dinge zu tun, die ich liebe und für die ich an diesen Ort gekommen war. Wie gesagt, für mich ist Berlin eine Stadt der Chancen. 

Wenn man Deine Tracks anhört, die aus unterschiedlichen Genres kommen, fällt auf, dass Du sehr gut adaptieren kannst. Bist Du ein empathischer Musiker?

Ja, das hoffe ich doch. Nein, meine Musik repräsentiert natürlich die Einflüsse meines Lebens, und die sind nun einmal sehr vielfältig. Ich möchte mich da auch gar nicht festlegen oder festlegen lassen, alles ist bunt, alles ist möglich, am Ende mache ich die Musik, die ich spüre. 

Wie entstehen Deine neuen Songs, woher kommen sie? 

Das ist sehr unterschiedlich, ich versuche aber, immer begleitet zu sein, egal ob Gitarre, Klavier oder Drum Machine, es gibt da keine Regel. Wie eben bereits beschrieben: Meine Songs muss ich spüren können, erst dann kommt die Begeisterung. Einerseits ist es schön, diese Freiheit beim Komponieren neuer Songs zu haben, andererseits kann Freiheit auch schwierig sein, wenn die Kreativität gerade nicht so da ist oder man sich in seiner Stadt verliert. (lacht)

Kommen wir zu Deiner Ausstattung: Du bist seit geraumer Zeit bereits KORG Endorser; warum?

Ich würde sogar sagen, dass ich KORG Fanboy bin. KORG hat bei allen seinen Instrumenten, seiner Hardware, seinen Produkten die Künstler im Blick; das ist immer spürbar, fühlbar, hörbar. 

Bei mir hat alles mit einem KAOSS Pad angefangen. Ich habe Radiohead beim legendären Glastonbury gesehen, das müsste 1997 gewesen sein. Auf jeden Fall habe ich mich gefragt, was das ist, dass sie da spielen, und ein Freund in Granada hat mir dann gesagt, dass es sich um ein KORG KAOSS Pad handelt. In Oslo habe ich mir dann ein KAOSS Pad 2 gekauft und hatte seitdem tierischen Spaß damit. Später folgte dann ein KAOSS Pad 3 und heute kaufe ich die Teile gebraucht, wenn ich sie sehe. 

Das KAOSS Pad ist nur ein Beispiel, das auf eine sehr deutliche Weise zeigt, wie KORG die Künstler im Blick hat, und wie die von den Produkten profitieren. Stell‘ Dir Detroit Techno ohne KORG vor – unmöglich. Ich könnte noch viele weitere Geschichten von meinen Erfahrungen mit KORG erzählen, von der electribe beispielsweise. Die electribe ist meine absolute Nummer Eins. Ich kann das großartige Gefühl nicht beschreiben, das ich hatte, als ich die electribe zum ersten Mal genutzt habe. Wahnsinn. Bis heute ist jedes einzelne Teil etwas Besonderes, keine Frage.  

Ich nutze im Studio microKORG, mehrere KAOSS Pads, minilogue, opsix, modwave und meinen superschicken, personalisierten wavestate. Achso, und einen M1 aus der Anfangszeit, den mir meine Kumpels zur Hochzeit geschenkt haben. Wie gesagt, ich bin Fanboy. (lacht) Ist übrigens sehr cool, dass KORG mit dem minilogue gerade so erfolgreich ist, das freut mich wirklich.

Beeindruckendes Arsenal; was davon nimmst Du mit auf die Bühne?

Ein KAOSS Pad, verschiedene Controller, ein Keyboard und meinen personalisierten wavestate – fertig. Auf der Bühne bin ich eher unspektakulär unterwegs. 

Deine Studio-Shows sorgen für große Aufmerksamkeit und entsprechende Reichweiten. Alles wirkt sehr spontan, sehr lebendig; wie viel davon ist geplant, was kommt tatsächlich aus dem Moment?

Auch hier bin ich unspektakulärer, als man vielleicht denken könnte. Es ist schön, dass Du das so wahrnimmst, aber tatsächlich sind die Shows sehr durchstrukturiert. Klar lasse ich mir die Freiheit, hier und da zu verkürzen oder auch mal zu verlängern, meistens bleibe ich aber bei dem Plan, den ich mir überlegt habe. Es ist ähnlich wie beim Komponieren: Ich muss mich hineinfühlen können und entscheide dann. 

Gibt es so etwas wie einen schönsten Moment in Deinem Musikerleben?

Puh, das ist schwer zu sagen. Ich habe ein Riesenglück, dass ich das machen darf, Musiker sein und DJ. Dass ich weltweit gebucht werde, weil ich das Reisen auch sehr mag. Kolumbien, Mexiko, Israel, Tunesien, es ist schon klasse, durch die Welt zu kommen und überall Menschen zu treffen, die meine Musik mögen. 

Tunesien war vielleicht der besonderste Moment bisher: Ich habe dort, in einem muslimischen Land, in einem queeren Club gespielt. Vor den Türen war alles normal, so wie es Religion, Kultur und Gesetze verlangen. Im Club aber durften die Menschen dann aber so sein, wie sie sind: Das fühlte sich für mich an wie eine Revolution, ich hatte Tränen in den Augen. 

Was vermisst Du aus Spanien?

Bestimmt gibt es da was, aber spontan fällt mir gar nicht so viel ein. Wahrscheinlich die Sonne und das Licht, die Winter in Berlin sind hart, wir haben am Anfang ja schon darüber gesprochen. Aber, weißt Du, Berlin ist meine zweite Heimat geworden. Meine Kinder sind Berliner und ich habe hier wirklich nur Glück gehabt. Ich bin sehr dankbar, dass alles so ist, wie es ist. 

Ja, das ist deutlich spürbar. Die letzte Frage könnte eine Inspiration für alle Leserinnen und Leser sein: Welche neue Musik kannst Du empfehlen?

Ich habe eine Sendung auf EgoFM, und da habe ich zuletzt Chico Blanco gespielt, DJ Bounty oder Franklin S. Ziemlich cooles Zeug, kann ich jedem uneingeschränkt ans Herz legen. 

Super, vielen Dank dafür und vor allem auch für Deine Zeit, José. Alles Gute, Kreativität und möglichst viel Sonne wünschen wir Dir. 

Vielen Dank Dir. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. 

Kid Simius ©Julia Groll
© Julia Groll

Kid Simius spielt:

M1KAOSS PAD 2KAOSS PAD KP3
electribe samplermicroKORGminilogue
opsixmodwavewavestate

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