Die Harmoniesüchtigen

Die „Münchener Freiheit“ gehört seit 39 Jahren zur Spitze der deutschsprachigen Musikszenerie – und das aus gutem Grund.

Warum, erfahren Sie in diesem kurzweiligen Bericht über den Besuch bei Keyboarder Alex Grünwald und „Special Guest“ Tim Wilhelm, Frontmann der ziemlich agilen Kapelle.

M wie „Münchener Freiheit“

Es ist Februar in München. Ein Mittwoch. Kurz vor Tagesschau. Die Roten haben Arsenal London zu Gast. Der Frühling hat heute, erstaunlich früh im Jahr, eine erste Duftmarke hinterlassen. Die Straßen leeren sich langsam, aber doch sichtbar. Mit bajuwarischer Gemütlichkeit legt sich die Nacht über die Stadt und in einem Supermarkt mit gelbem Logo erfasst die Menschen vor dem leeren Schwarzbrotregal eine gewisse Torschlusspanik. Hübsch.

Ich bin mit Alex Grünwald verabredet, Keyboarder der legendären „Münchener Freiheit“. Was ich auf dem Weg noch nicht ahnen kann: Eine nicht unbedingt erwartete Lektion in (Gast-) Freundlichkeit und Bescheidenheit steht mir ins Haus. Diese Eigenschaften assoziiert der Rest unserer feingeistigen Republik nicht zwingend zuallererst mit dem Durchschnittsbayern. In der Tendenz ist das aber ohnehin Schmarrn und was das Hause Grünwald betrifft, könnte man falscher nicht liegen.

Ich bin zunächst einmal sehr gespannt und krame in dem semifrischen Hippocampus eines Anfangvierzigers nach Erinnerungen. M wie Marius Müller-Westernhagen, M wie Mellencamp, M wie Mavis Staples, M wie MoodyBlues, M wie Mumford&Sons oder eben M wie „Münchener Freiheit“. Bääääm.

Muenchener Freiheit Tim Wilhelm Alex Gruenwald
© BAVAREA-41.COM (C/O GIULIA, THOMAS, TIM)

Was hat diese Band für eine fulminante Geschichte, mit und ohne personelle Fluktuation. Jenseits der schier erdrückend erfolgreichen Verkaufszahlen, die im Legendenkontext gernezitiert werden, haben die Jungs über die Jahre vielfältigste Schätze auf der Erfahrungshabenseite sammeln dürfen, quantitativ wie qualitativ: Zu ihren Ultrasellern wie „Ohne Dich (schlaf ich heut Nacht nicht ein)“ oder „Tausendmal du“ oder „Solange man Träume noch leben kann“ tanzen, singen, weinen, knutschen Menschen, deren Geburtsjahr in den Neunzigern liegt und deren musikalische Sozialisierung man eher bei niederländischen Boygroups verorten würde. Sie waren zu einem Zeitpunkt beim Eurovision Song Contest als der noch Grand Prix de la Chanson de L’Eurovision hieß und Deutschland statt fürchterlicher Hitradiopopungeheuer aus der Betankungshymnen-Vorhölle ernstzunehmende Beiträge auf die Reise, im vorliegenden Falle nach Irland, schickte.

Und ja, sie können sogar Erfolg bei Menschen verbuchen, die Englisch ihre Muttersprache nennen. Jaaaaaa, Erfolg auf der anderen Seite des hässlichen Kanals. Mit Schwung wurde sie durchbrochen, die britische Pop- und Soul- und Punk- und überhaupt vermeintliche musikalische Überlegenheitsphalanx; Charterfolg auf der Insel können sie. Und diesen Orden können sich tatsächlich nur wenige Künstlermenschen germanischen Ursprungs ans fluffige Revers tackern. Nina Hagen vielleicht, ja, die Scorpions, unsere Krautrocksympathen natürlich und, Ladies’n’Gents, Rammstein, yes. Den durchaus cleveren Schachzug der findigen Plattenfirma, den deutschen Triumphzug der „Freiheit“ zu internationalisieren, wagt nur, wer sich des nötigen Potenzials seiner Schützlinge sicher ist. Enttäuscht wurde keiner. Und am Ende des Tages gab es eine beeindruckende Kollaboration mit dem London Symphony Orchestra. Jemand Fragen da draußen?

Blut, Schweiß, Tränen, Erfolg

Was uns geradewegs zum außergewöhnlichen Handwerk der tapferen Kapelle aus dem Süden führt. Eben jener Expertise, die von ahnungslosen Spätgeborenen gerne mit nonchalanter Arroganz und diesem einzigartigen Überlegenheitsblick infrage gestellt wird. Ein Umstand, mit dem die deutschsprachigen Musikanten aus diesem Ressort übrigens regelmäßig konfrontiert werden. Können die tatsächlich Musik? Wie, die gibt’s auch ohne Playback? Jaaa, ihr lieben hippen aufgeregten Berlinzugereisten: Es gibt in diesen, von Euch belächelten musikalischen Ressorts eine Menge Genius und beständigen Erfolg. In exakt diesem Dunstkreis bewegt sich die „Münchener Freiheit“, zu Recht Präsens, denn was der Laie nicht weiß und manchem Fachmann dahinschwand: Die Band ist weiterhin fett am Start, um mal leidenschaftsloses Plattenfirmensprech zu bemühen. Im November des Jahres 2016 wurde der aktuelle Longplayer „Schwerelos“ veröffentlicht. Und dieser bis heute bestehende Status fiel nicht vom grenzdebilen TV-Castinghimmel, hier musiziert der Künstler in echt: alles hart erarbeitet, erkämpft, erspielt. Auf dutzenden Bühnen in Schwabing, der geliebten Wahlheimat, aber natürlich auch anderswo. Blut, Schweiß, Tränen, Erfolg, sicher eine Frage der Qualität und irgendwann nur noch der Zeit.

Mit diesen hervorragenden Voraussetzungen verkraftet man dann auch Verluste, die andernorts zu Schreianfällen, Drogenexzessen und Umschulungen führen: Im Laufe der langen Zeit bis ins Jahre 2017 hat es Veränderungen in der Bandzusammenstellung gegeben, was unter professionellen Musikern als normaler Vorgang verbucht wird. Allein der Abschied von Gründungsmitglied, Frontmann und prägender Stimme, Stefan Zauner, war schon ein kritischer Moment in der Historie der „Freiheit“, etwas, das man im Film recht nüchtern einen Wendepunkt nennt. Eine bisweilen schnöde Situation, der die Möglichkeit innewohnt, mindestens einen Bruch, vielleicht sogar einen Zusammenbruch zur Folge zu haben.

Muenchener Freiheit Tim Wilhelm Alex Gruenwald

Dass diese Konsequenz bei der „Münchener Freiheit“ ausblieb, verdankt die Combo auch ihrer spielerischen Klasse. Selbstverständlich muss es eine Herausforderung gewesen sein, mit Tim Wilhelm ein neues Gesicht, vor allem aber eine neue Stimme mit der Aufgabe zu betrauen, die wie keine andere als Markenzeichen der Band benannt werden muss und die Stefan Zauner über drei Jahrzehnte brillant löste: Einzigartige, aufwändig produzierte, großartig intonierte Harmoniehooks.

Lauscht man aber dem musikalischen Werk der prä- und postzaunerschen Ära, muss man zur Konklusion kommen, dass der Wendepunkt bewältigt – die Klippe souveränst umschifft wurde. Überhaupt nicht mutiert, ist dabei die DNA dieser fünf Münchner: Es handelt sich natürlich auch weiterhin um Harmoniesüchtige. Irrtum ausgeschlossen.

Eine Lektion in (Gast-) Freundlichkeit und Bescheidenheit

Doch genug des Halbwissens, genug der Vermutungen, gestoppt sei der Informationsterror an dem geduldigen Leser. Alex Grünwald öffnet mir die Tür seines wohligen Heims persönlich. Vor mir steht ein freundlicher Mann mit wachem Blick und lachenden Augen. Im Hintergrund erfreut sich ein nicht minder interessierter, ungleich jüngerer Haudegen mit wallendem, blondem Haupthaar an meiner leider verspäteten Ankunft. Das muss Tim Wilhelm sein. Die Freude ist ganz meinerseits. Duzen ist auch lässig, das kann was werden.

Auf dem Weg ins exquisit ausgestattete Studio des Hausherren in den unteren Gemächern passieren wir einige Goldene. Eine schöne Erfindung, diese tollen Kunstwerke, denke ich möglichst leise bei mir und sonne mich für ein paar Millisekunden im Schein dieses heute wieder extremst populären und schon immer irgendwie coolen Mediums Schallplatte. Höchste Zeit mehr über den Weg zu diesen besonderen Auszeichnungen zu erfahren, und über das, was die Jungs antreibt, was sie inspiriert und was sie denken, fühlen, anstreben und warum sie auf KORG-Instrumentarium setzen.


München steckt ob des gleichnamigen Platzes im Bandnamen; welche Rolle spielt die Stadt noch für Eure Geschichte, Eure Identität?

ALEX: Zunächst einmal ist dieser Platz für uns schon sehr wichtig. Wir haben alle in Schwabing quasi um die Münchener Freiheit herum gewohnt, haben uns dort oft getroffen. Damals gab es eine sehr große, sehr lebendige Livemusik-Szene in München, vor allem in Schwabing. Wir haben viele Konzerte von Bands gesehen, die uns inspiriert haben. Es war vor allem diese Zeit in den Achtzigern in München, die für unsere Geschichte sehr bedeutsam ist.

Geschichte ist ein gutes Stichwort: Schaut man sich Eure Entwicklung bis heute ein wenig genauer an, fällt sofort Euer Facettenreichtum ins Auge und die vielen musikalischen Aufgaben, die Ihr mit Bravour gelöst habt. Dennoch ist nahezu jeder fremde Blick zurück auf Eure Geschichte, etwa durch Medien, eine Reduktion auf zwei, vielleicht drei Songs. Oberflächlich betrachtet ist das irgendwie ärgerlich, kann mit ein bisschen Nachdenken aber auch ein Segen sein; was ist es für Dich, Alex?

ALEX: Es ist tatsächlich beides. Schau Dir an, wie viele Songs wir geschrieben haben, da tut es schon weh, wenn sich ein Großteil der Menschen in aller Regel an einen oder zwei erinnern. Es lehrt uns aber auch Dankbarkeit, dass wir mit „Ohne Dich (schlaf ich heut Nacht nicht ein)“ diesen Megahit hatten, auf den andere Musiker ihr Leben lang warten. Und bei uns gab es ja noch einige andere. Ich denke, man kann schon sagen, dass „Ohne Dich“ unsere Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat: Man bekommt ein größeres Publikum, es gehen plötzlich sehr viele Türen auf und damit sind dann auch große Chancen verknüpft. Wir haben nach dem Erfolg von „Ohne Dich“ mit „Solange man Träume noch leben kann“ einen Hit nachschieben können, der mit dem London Symphony Orchestra eingespielt wurde. Das wäre alleine finanziell ohne den riesigen Erfolg zuvor nicht möglich gewesen. Ich glaube auch, dass dieser herausragende Start uns in der musikalischen Entwicklung geprägt hat…

Muenchener Freiheit Buehne Publikum
© JET
Habt Ihr dann angefangen, neues Material intensiver abzuwägen? Habt Ihr vielleicht sogar mehr nachgedacht über neue Songs, um auf keinen Fall einen Fehler zu machen?

ALEX: Nein, das mit Sicherheit nicht. Wir waren sehr entspannt und es war ja auch nicht, dass Stefan Zauner (Anmerkung: Sänger der Band bis 2010) die Songs allesamt alleine geschrieben hätte. Es war immer ein Prozess, an dem die gesamte Band beteiligt war: Jeder hat geschrieben, wenn ihm gerade etwas Gutes eingefallen ist. Und wir hatten auch niemals den Gedanken, neue Sachen an „Ohne Dich“ anzulehnen. Wir sind da eigentlich immer unseren Ideen gefolgt und gut damit gefahren.

Grundsätzlich gibt es von der „Münchener Freiheit“ deutlich mehr zu erzählen, als vielen formatradiorotationsgeplagten Hörern bekannt ist, etwa: Euer Erfolg kam nicht über Nacht, sondern wurde über kleine Bühnen hart erarbeitet. Ist dieser Weg grundsätzlich ein guter, weil man sich die musikalischen Hörner abstößt, wichtige Erfahrungen sammelt?

ALEX: Ja, unbedingt. Das ist die beste Schule, durch die ein Musiker gehen kann. Wir haben in wirklich kleinen Clubs gespielt und damit eigentlich auch nicht aufgehört, als diese Läden dann brechend voll waren. Dort ist uns dann eine große Dankbarkeit entgegengebracht worden. Ich finde das immens wichtig, dass eine Band diese Erfahrungen kleiner Bühnen macht. Ehrlichere, direktere Rückmeldungen gibt es nirgendwo. Und dort wachsen Musiker auch wirklich zusammen, es sind die Orte, an denen jede Kapelle ihr Handwerk lernt, daher sollten diese Erfahrungen gerne auch vor dem Studio stehen; man wird beim Aufnehmen von diesen besonderen Momenten auf kleinen und Kleinstbühnen profitieren. Mit jedem noch so scheinbar unbedeutenden Gig wächst die Sicherheit auf der Bühne, daher ist mein Tipp an jeden jungen Musiker: Lass dich auf diese manchmal auch harte Erfahrung ein, du wirst später dankbar darauf zurückschauen.

„Schublade auf, Band samt Song rein, Schublade zu.“

In Deutschland auch weitgehend unbekannt ist Eure durchaus erfolgreiche englischsprachige Ambition; war das ein nicht untypischer Versuch dieser Zeit damals oder musste man bei dem Potenzial der Band nicht zwingend den Versuch unternehmen?

ALEX: Der Schritt zunächst nach England war ein absolut richtiger. Ich muss aber ehrlicherweise sagen, dass der Anstoß dazu damals von unserer Plattenfirma kam. Sie haben unseren Erfolg hier gesehen und waren sich sicher, dass man uns auch England und den USA platzieren müsse. Es wurde dann „Keeping the dream alive“ und diese Adaption von „Solange man Träume noch leben kann“ hat tatsächlich auch in englischer Sprache funktioniert, wir waren in England in den Charts notiert. Insgesamt war das eine tolle Erfahrung, die uns auf unserem Weg natürlich auch bestätigt hat und die uns auch als Band zusammengeschweißt hat.

Man ist bei Bandprojekten wie der „Münchener Freiheit“ als Beobachter schnell bei der Hand mit Kategorisierungen im besten Fall, Schubladen im schlechtesten. Stichworte wie Schlager oder oberflächliche Partymucke sind fast schon Beleidigungen angesichts Eurer musikalischen Möglichkeiten. Prallt diese falsche Rezeption an Euch ab?

ALEX: Ich muss sagen, dass es heute nicht mehr so schlimm ist. Obwohl wir damals durchaus eine liberale Zeit hatten, saßen wir immer zwischen allen Stühlen. Viele Radiostationen haben uns nicht gespielt, weil wir angeblich zu rockig waren, für andere waren wir nur Schlager. Da wurden wir dann Opfer dieses dämlichen Formatdenkens. In England oder auch in Amerika gibt es diese Denke bei Weitem nicht so ausgeprägt, da geht es vielfältiger zu, einfach bunter. Aus dem Nichts hast du plötzlich Monty Python Comedians auf der Eins in den Charts. Hier steckt man als Band sehr schnell in einer Schublade und es ist wirklich sehr schwer, diese Schublade wieder zu verlassen.

Muenchener Freiheit Alex Gruenwald

Mir fällt da eine kleine Geschichte ein, die das sehr schön abbildet: Wir waren sehr oft bei Dieter Thomas Heck in der ZDF Hitparade, aber auch bei anderen Sendungen oder Veranstaltungen mit ihm. Es gab da mal eine Geschichte in Bayreuth, in der vier blutjunge Kerle aus Stuttgart mit uns bei Heck aufgetreten sind. Das waren Fanta 4, die mit „Die da“ gerade ihren ersten Hit hatten. Für die Jungs war das richtig schlimm, weil sie sich selbst und ihre Musik natürlich nicht in diesem Format gesehen haben. Für sie war das deutscher HipHop, für irgendwelche Macher im Hintergrund aber war es deutschsprachig und damit Schlager. Schublade auf, Band samt Song rein, Schublade zu. Ich habe es wirklich oft genug selbst erleben müssen und finde es furchtbar. Für die Fantas muss es Horror gewesen sein; Die mussten sich bestimmt vor einigen Menschen rechtfertigen, dass sie wieder beim Heck waren (lacht).

Es ist spannend zu sehen, wie die Band ihren Sound weiterentwickelt hat, ohne dabei ihren Kern zu verlieren; diese unglaublichen catchy Hooks mit sehr aufwändig produziertem, sehr anspruchsvollem Harmoniegesang.

Alex: Stimmt, das ist exakt unser Markenzeichen, unser Sound. Wir schauen im Produktionsprozess sehr genau und manchmal auch sehr lange darauf, ob wir Melodien finden, die zu uns passen, aus denen wir diese Hooks basteln können. Unsere Songs sind Songs mit Satzgesang, mit diesen typischen Harmonien, von denen Du sprichst. Jetzt auch mit Tim als Stimme gilt unsere Aufmerksamkeit bei neuem Material wirklich primär diesem Ziel: Wie bekommen wir unseren typischen Satzgesang in den Song. Und wir versuchen, unseren Sound natürlich auch möglichst gut auf die Bühne zu transportieren, ihn dort abzubilden. Es gibt zwar schon auch Live-Versionen unseres Materials, aber wir singen zu dritt und schaffen es, den Sound dann auch authentisch auf die Bühne zu holen.

Tim: Wenn ich bei diesem Thema kurz ergänzen darf; wir hatten jetzt einige Male Live-Übertragung ins Radio, unter anderem ein Konzert auf der Festung Ehrenbreitstein (Anmerkung: In Koblenz), davor von der Wiener Wiesn. Das ist ohne jeden Zweifel mutig und für viele Bands ein Risiko, aber es war auch unser Weg zu zeigen, wie wir uns verstehen, wie wir Musik machen möchten in Zeiten, in denen Voll- oder Halb-Playback bei Auftritten nicht unüblich sind, wollen wir live abliefern – sogar im Falle von derartigen Übertragungen.

Alex: Und konsequent live gespielte Musik klingt einfach auch viel rougher, da ist mehr Druck drin, mehr Energie.

War mit dem Wechsel der Stimme zu Tim vor sieben Jahren viel Umstellung gerade beim Satzgesang verbunden?

Alex: Es waren wirklich nur minimale Anpassungen nötig, weil Tim über die gleiche Stimmlage verfügt wie Stefan Zauner sie hatte. Mit Tims Verpflichtung wollten wir auch nicht Stefan Zauner ersetzen, sondern einen eigenständigen Nachfolger, der hilft, die „Freiheit“ weiterzuentwickeln. Für die Neukompositionen haben wir natürlich Tims gesangliche Komfortzone gecheckt und dort dann komponiert.

Wie viel Zeit verbringt Ihr als Band tatsächlich gemeinsam? Wie sieht ein typischer Tagesablauf für die „Münchener Freiheit“ aus?
Muenchener Freiheit Alex Gruenwald Studio

Alex: Eine gute Gelegenheit, jetzt mal klarzustellen: Wir leben als Band nicht in einer Wohngemeinschaft (lacht). Es gibt durchaus regelmäßig Phasen, in denen wir uns gar nicht sehen. Alle fünf auf einem Haufen gibt es natürlich live oder eben bei neuen Produktionen, aber sonst eher unregelmäßig. Tim und ich sehen uns hingegen sehr häufig, weil wir auch außerhalb der „Freiheit“ Projekte zusammen machen.

Tim: Es war tatsächlich auch Alex, der mich damals quasi in die Band gebracht hat. Das wird ab und an anders erzählt, aber es war Alex, obwohl ich unseren Bassisten Micha Kunzi schon länger kenne als Alex.

Alex: Stimmt. Wir hatten damals andere Sänger ausprobiert und waren nicht zufrieden. Und ich hab Micha dann gefragt: „Sag mal, du kennst doch auch den Tim; was ist denn mit dem? Wäre der nicht einer für uns?“ Er sagte dann nur: „Der ist doch viel zu jung!“ Ich hab mich davon aber nicht beirren lassen. Alter ist egal, in der Musik ist Alter komplett egal.

„Der KORG KRONOS ist ein Wahnsinn“

Man kann Dich sicherlich als KORG-Fanatic bezeichnen. Du nutzt den überall grandios besprochenen KRONOS und einen KingKORG. Was zeichnet die KORG Instrumentierung aus?

Alex: Der KRONOS ist schon ein Wahnsinn, ein richtiger Computer. Ich habe mich jetzt wirklich sehr intensiv mit diesem Instrument beschäftigt und bin noch lange, lange nicht am Ende meiner Entdeckungsreise. Genau diese Eigenschaft gefällt mir aber auch so gut:

Man hat im Grunde unbeschränkte Möglichkeiten und all diese Möglichkeiten erreiche ich über das Touch-Display auch noch sehr schnell. Man kann alles zwischenspeichern, es gibt so viele großartige Optionen, also der KRONOS ist definitiv ein sehr durchdachtes Produkt, mit dem ich total happy bin.

Der KingKORG ist ja dann quasi die andere Seite, die mir auch sehr, sehr gut gefällt. Ich komme von den analogen Synthies, wo man über die Drehregler richtig dran schrauben konnte. DER KingKORG ist zwar kein analoger Synthie, aber er ist ähnlich aufgebaut.

Den KRONOS hatte ich auch schon im Bühneneinsatz, den KingKORG bisher noch nicht, aber das ist eine Frage der Zeit. Beim KRONOS profitierst du als Tastenmensch einfach von den Möglichkeiten. Ich habe bei der „Freiheit“ sehr, sehr viele Sounds, auch viele Sample Sounds und Sequenzer, muss die Tastatur auch in sechs, acht Parts oder Splits bringen, um unsere ganzen Studiosounds unterzubekommen. Daher kann ich sagen, dass der KRONOS schon mein Hauptinstrument ist, im Studio und auf der Bühne.

Wie sehr spielt Deine künstlerische Sozialisierung eine Rolle in Deinem Leben als Musiker? Ist es für einen professionellen Musiker überhaupt möglich, seine unterschiedlichen musikalischen Peers, in Deinem Fall Klassik und Jazz, überhaupt getrennt zu betrachten?
Muenchener Freiheit Alex Gruenwald KRONOS

Alex: Ich glaube, es war für mich ein großer Vorteil, immer offen zu sein für alle Musikstile. Ich habe mit einer Punkfrisur in einer Bebop-Band gespielt, Swing, Jazz, Deutsche Welle, mit Punkfrisur auch richtigen Punk (lacht), alles da, alles kein Problem und alles hat mich als Musiker weitergebracht.

Im Grunde beeinflussen all diese stilistischen Erfahrungen auch meine Arbeit als Keyboarder der „Freiheit“ heute. Musik war immer die Leidenschaft in meinem Leben, sehr zum Gram meiner Eltern, weil ich irgendwann die Schule geschmissen habe und ihnen recht deutlich gesagt habe, dass ich nur Musik machen will. Eigentlich waren sie aber auch sehr schnell stolz auf mich, schon bevor ich erfolgreich war. Als sie gesehen haben, dass ich es ernst meine und irgendwie auch davon leben kann, kam die Ruhe und sicher auch der Stolz. Ich glaube, dass ihnen wichtig war, dass ich es ernst meine und eben nicht nur ein bisschen rumprobiere. Die Offenheit gegenüber allen Spielarten der Musik war sicher ein Schlüssel auf meinem Weg.

„Die Menschen spüren, dass wir authentisch sind“

Wir leben in bewegten Zeiten, in denen Künstlermenschen vielleicht stärker als jemals zuvor in ihrer Rolle gefragt sind. Geht überhaupt eine Konzentration auf ausschließlich Unterhaltung oder braucht es in Zeiten eines Donald Trump oder 65 Millionen Flüchtlingen weltweit, politischer Radikalisierung und vielen anderen Herausforderungen auch politische Ambition in der Musik? Wo seht Ihr die „Münchener Freiheit“ in dieser Frage?

Alex: Ja, eine wichtige Frage. Ich glaube, die „Freiheit“ ist nicht Grönemeyer, um mal ein Beispiel zu nennen. Wir haben sicher keine politische Aufgabe, aber dennoch eine wichtige Rolle für unsere Fans. Wir bekommen wahnsinnig viele beeindruckende Geschichten von unseren Hörern, die uns den großen Wert unserer Musik in ihrem Leben spiegeln, in Krankheit oder anderen, oft nicht leichten Situationen, wo unsere Songs tatsächlich dann geholfen haben, abzuschalten, zu entspannen. Ich glaube, die Menschen spüren, dass wir authentisch sind mit unserer Musik und saugen diese Echtheit regelrecht auf.

Muenchener Freiheit Tim Wilhelm

Tim: Bei mir ist die politische Ebene schon ein größeres Thema. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich dann doch einer anderen Generation angehöre, die damit wieder stärker aufgewachsen ist, sich politisch zu äußern. Ich denke, es hat aber auch viel mit dem Typus des Frontmannes zu tun: Was für einer bist du? Wie willst du wirken? Ich glaube, dass da das „Eier“-Zitat von Oliver Kahn sehr gut passt. Wenn du es für richtig und angebracht hältst, in unserer Position als Musiker etwas zu sagen, hast du die Möglichkeit, es auf unterschiedliche Arten und Weisen zu tun.

Ich stimme Alex aber andererseits uneingeschränkt zu, dass Unterhaltung zunächst einmal Spaß bedeutet, Entertainment, Freude. Dass die Menschen, die ja auch viel Geld für eine Konzertkarte bezahlen, das Recht haben, eine gute Zeit zu erleben. Wenn man also das Geschenk bekommen hat, Menschen unterhalten zu dürfen, dass überhaupt jemand zuhört, sollte man diese Chance nicht ausnutzen und als Belehrender auftreten.

Aber es steckt in diesem Wort Unterhaltung eben auch die Haltung, wie zuletzt bei der Berlinale auch betont wurde. Ich bin der Meinung, man darf auch immer wieder mal eine Botschaft, eine Haltung durchblitzen lassen. Bitte aber ohne den berühmten, erhobenen Zeigefinger. Gerade im Kontext der „Münchener Freiheit“ wäre ein erhobener Zeigefinger alles andere als angebracht, ich glaube, da sind wir uns alle einig.

Alex: Ein guter Punkt, vielleicht kann ich noch ergänzen, dass wir auch eine gewisse Vorbildfunktion haben, ohne dass wir groß reden müssen. Die Menschen sehen ja auch, wie wir leben, eine Haltung leben sozusagen, und auch das ist ja ein politisches Statement, wenn man so will.

Tim: Alex hat eben schon verraten, dass wir nicht in einer WG leben, sondern durchaus eigenständig. Bei uns wird man ja als Bandmitglied nicht in Sippenhaft genommen, im Gegenteil: Es ist gut, wenn man verschiedene Meinungen hat, die sich vielleicht auch ergänzen. Ich bin damals nicht zur „Freiheit“ gekommen und habe gedacht, von jetzt an alles gut finden zu müssen, was ich vorfinde. Sonst wäre ich auch gar nicht hier gelandet.

Abschließend muss ich die Frage stellen, welche Musik Euch begeistert oder gar beeinflusst?

Alex: Da möchte ich zunächst einmal die Gelegenheit nutzen und betonen, dass ich wieder sehr viel Vinyl höre, weil der Sound einfach großartig ist, sehr warm und dennoch druckvoll. Vielleicht entdecke ich auf diesem Weg auch Musik wieder. Die Sechziger mit dem Motown beispielsweise, das ist absolut genial. Ich würde übrigens gerne mal mit der „Freiheit“ wieder Vinylprodukte anbieten.

Muenchener Freiheit Buehne

Tim: Das kommt vielleicht ja auch, wenngleich es bisher nur Theorie ist. Wir sind eine demokratische Band und manchmal sind Antworten bis zur entscheidenden Abstimmung dann eben noch nicht bestätigt, aber in der Vinyldiskussion scheint sich eine Mehrheit abzuzeichnen.
Aber zurück zu Deiner Frage nach den musikalischen Einflussfaktoren. Ich bin mit einer großen Bandbreite aufgewachsen. Einerseits über familiäre Umstände sehr klassisch, andererseits arbeiteten mein Cousin und dessen angeheiratete Familie mit Hardrockbands wie Faith No More und Guns N‘ Roses, was -etwa im Rahmen von Konzerteinladungen- in mir eine Glut entfachte, deren Flamme unvermindert lodert und in ein Feuer mündete, das nicht zu löschen ist! Die Liebe zu diesen beiden Genres war nie ein Widerspruch für mich, ich kann eher sagen, ich wurde dadurch ein großer Fan starker Melodien. Wenn eine Hook gut ist, spielt das Drumherum erst einmal keine Rolle. Dann ist es egal, ob wir es mit Klassik oder Volksmusik zu tun haben. Wenn Du eine gute Hook hast, kann das eine Art göttlicher Funke sein, der den entscheidenden Unterschied macht.

Ein tolles Zitat am Ende. Vielen Dank für Eure Zeit und die Gastfreundschaft.

Alex Grünwald spielt:

KRONOSKingKORG

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