KORG multi/poly Workshop 2: Virtuelle Voice-Cards

Dabei geht es zum einen um die Emulation analoger Synths und deren spezielle Eigenschaften wie Voice-Cards und spezielle Hüllkurven, zum anderen um Verformung von Klängen im modularen Stil mit Hilfe der sogenannten West Coast Synthese. Im ersten Workshop zum multi/poly war schon kurz von Letzterem die Rede. In diesem Workshop widmen wir uns den Möglichkeiten von individueller Stimmung deines multi/poly durch Voice-Card-Optionen und globale Einstellungen – bis hin zu arabischen Klängen. Dabei beginnen wir damit, eigene Sounds zu programmieren, einfache Edits zu machen und uns mit der nach etwas Gewöhnung gut bedienbaren Oberfläche dieses enorm vielseitigen Synths vertraut zu machen. So oder so kratzen wir hier nur an der Spitze des Eisbergs.

In alten Vintage Synths hatte jede gespielte Note eine eigene Voice Card mit leicht abweichenden Eigenschaften, die im multi/poly emuliert werden. Das kann sich auf Oszillator, Filter, LFO, Portamento und Hüllkurven auswirken.

Beginnen wir mit einer einfachen Init Performance, die typischerweise beim ersten Hochfahren des multi/poly geladen wird und ganz oben in der Liste verfügbarer Sounds steht, wenn man auf den „Performance / Home“-Button drückt, weil anstelle des ersten Buchstabens ein Leerzeichen eingefügt wurde.

Via „Shift“ + „Pitch“ gelangt man auf eine „Drift / Voice Variation“ Page, um Einstellungen für die Voice Card vorzunehmen.

Bild: Drift und Voice Variation

Wie schon im letzten Workshop erläutert, brauchst Du nichts zu tun, um in den Genuss der neuen Funktionen zu kommen, denn in vielen Presets sind entsprechende Einstellungen schon programmiert. Das gilt selbst für unsere einfachste Init Performance. Der „Drift“-Wert ist bereits auf 3 Cent voreingestellt, und alle anderen Werte auf einen Wert von 100, doch wollen wir hier nun auch mal andere Einstellungen ausprobieren. Stelle zum Beispiel „Drift“ mal auf 10 Cent. Bewege Dich mit dem +/- Tasten rechts unter dem „Value“-Drehknopf zum Feld „Drift“ und stelle ein: „10 Cent“. Du hörst nun deutliche Verstimmungen. 

Weitere Parameter heißen (zusammengefasst unter dem Begriff „Voice Variation“): „Pitch“, „Filter“, „Osc“, „Env“, „LFO“, „Portamento“ und – ganz wichtig – „Scale All”. „Scale All“ kann, im Gegensatz zu den zuvor genannten Werten, auch auf einen Wert 200 gestellt werden. 100 ist für alle Parameter der vorgesehene Einstiegswert, alle Voice Variation Parameter werden jedoch mit „Scale All“ in ihrer Wirkung abgeschwächt oder intensiviert bzw. skaliert. Beachte: Eine Nullstellung oder erhöhte Stellung von „Scale All“ wirkt sich anscheinend nicht auf den Drift-Parameter aus, sondern nur auf die Skalierung der anderen Werte. Deren Wirkung kann man im Beispiel bzw. der Init Performance aber noch gar nicht so stark hören. Das wollen wir nun ändern.

Gehe zum Filter und drehe den Cutoff auf eine Reglerstellung von etwa 500 Hz. Gehe nun zum Bereich des LFOs und stelle dort als Frequency ca 2.5 Hz und als Intensity +20 ein. Spiele nun einen Akkord. Jede Note wird dabei via LFO moduliert, doch die Modulationen laufen nun dank Voice Variation bei gehaltenem Akkord im Laufe der Zeit leicht auseinander.  Drücke wieder „Shift“ + „Pitch“, um zur „Drift / Voice Variation“ Page zurückzugelangen. Verstelle nun „Scale All“ und variiere die Werte zwischen 0 und 200. Spiele den Akkord bei verschiedenen „Scale All“-Einstellungen und bemerke, wie die LFO-Modulation im Verlauf der Zeit bei höheren Werten „auseinanderläuft“. Das geht in der Wirkung wohl über die „Ungenauigkeit“ eines analogen Synths hinaus, bringt aber so oder so zusätzliche „Leben“ in Deinen Sound. Stelle „Scale All“ zurück auf „0“, um zu hören, dass die Modulationen nun wieder „synchron“ laufen. Beachte: Das Manual weist darauf hin, dass diese Ungenauigkeiten sich im Zeitverlauf verstärken. Sie sind daher wohl anhand einmalig durchlaufender Hüllkurven weniger leicht nachvollziehbar – wohl aber mit geloopten Hüllkurven, wie das nächste Beispiel zeigen wird.

Die Editiermöglichkeiten in KORGs neuer Analog Modeling Generation gehen natürlich noch viel weiter. Beginnen wir mit der Auswahl eines Filters: multi/poly hat viele verschiedene Filtermodi. Laden wir wieder die Init Performance, bleiben zunächst beim voreingestellten und für meinen Geschmack besonders gut klingenden M/Poly Filter. Drehe den Cutoff auf ca. ca. 500 Hz, Resonanz auf ca. 50% und Env Intensity auf +27.50. Im Hüllkurvenbereich darunter achten wir darauf, dass das „Filter A“-Lämpchen leuchtet. Dann drehen wir Attack, Sustain und Release herunter, Decay auf ca. 2 Sekunden. 

Nun wirkt die Hüllkurve deutlich auf das Filter. Das klingt besonders gut, wenn wir die Tastatur zwei Oktaven nach unten transponieren und einfach nur ein tiefes „D2“ spielen. Zu beachten ist: Bei gehaltener Taste geht der Filter weiter runter als am Anfang des Sounds, weil Sustain auch negative Werte annehmen kann, was bei voll heruntergedrehtem Sustain der Fall ist. 

Neu ist auch, dass die Hüllkurve mit Verspätung einsetzen kann. Via „Shift“ + „Attack“ lässt sich eine Delay-Zeit einstellen, stellen wir diese auf ca. 0,2 Sekunden. Mit gehaltener Taste und aktivierter „Loop“-Option kann das interessant klingen. Die „Loop“-Option finden wir auf der dritten Seite der „Parameter“-Pages für die Hüllkurve ganz unten, hier gelangen wir mit den „Page“-Buttons hin. 

Bild: Filter Envloop

Verkürzen wir nun außerdem die Decay-Zeit auf 0,2 Sekunden, um einen knackigen Sound und einen kurzen Loop zu bekommen. 

Im verlinkten Video ist der Klang dieses Experiments am Anfang zu hören – und die Entstehung wird, analog zu diesem Workshop, erklärt. Natürlich klingt auch die MS 20 -Filteremulation toll und gewohnt zerrig und kreischig. Sogar eine „Mini“- und eine „SE/ M“-Emulation sind dabei.

Der Overshoot-Parameter von Hüllkurven emuliert ein kurzes Clipping zwischen Attack- und Decay-Phase, welches eher subtil wirken kann.

Jetzt haben wir einen interessanten Loop und können mit weiteren Parametern spielen. Gehen wir zurück zur „Voice Variation“ Page und stellen nun „Scale All“ von 100 auf 0. Wir hören, dass nun eine interessante Variation der Filtermodulation verschwindet, die zuvor noch da war und sich via Stellung von „Scale All“ über 0 aufwärts wieder einstellt. Alternativ kann man freilich Scale auf 100 stehen lassen und den „Env.“-Parameter in der „Voice Variation“ Page herunterdrehen. Hüllkurven sind im Allgemeinen vielleicht das wichtigste und grundlegendste Sounddesigntool. Wechseln wir nun zwischen verschiedenen Filtermodellen, Cutoff-, Resonanz- und Env-Einstellungen hin- und her und hören uns die Wirkung bzw. unterschiedlichen Klänge an. Drehen wir nun außerdem noch „Drive“ für den Amp hoch.

Sowohl für Amps als auch für Hüllkurven lassen sich ebenfalls noch verschiedene Emulations-Modelle (z. B. wiederum MS 20, M/Poly oder Mini) einstellen. Die Wirkungen sind beim aktuell besprochenen Sound allerdings meist eher subtil. Eine Auswahl einer „Linear“-Einstellung für die Hüllkurve sorgt jedoch für eine deutlich hörbare Veränderung (auch das ist im Video zu sehen). Umgekehrt sind es meist eher die nicht-linearen Hüllkurveneinstellmöglichkeiten, die für unsere Ohren interessant klingen, schließlich verläuft unsere subjektive Wahrnehmung auch nicht linear. Weniger subtil ist die Änderung einer zufälligen Amp Panorama Position, welche sich im Amp-Bereich ebenfalls einstellen lässt. Auch eine solche Option findet man bei vielen analogen Synths.

Speichern

Beim Speichern Deines Sounds kannst Du via „Shift“ + „Write“ eine neue Performance erstellen oder via „Write“ die bisherige Performance überschreiben.

Für Edits im multi/poly gibt es sehr viele Möglichkeiten. Man sollte erst mal sicher im Umgang mit der Bedienoberfläche werden, um das Potenzial des Synths richtig ausreizen zu können. Alternativ kann man auch mit dem kostenlosen Editor/Librarian arbeiten. Besser noch: Die Arbeit mit beiden lässt sich gut kombinieren: Editiert man am Synth, kann man anschließend am Editor/Librarian speichern und bequemer den Performance-Namen eintragen. Im Editor ist es z. B. auch leicht möglich, via Rechtsklick auf den Layer-Tab alle Einstellungen eines Layers zu kopieren und in ein anderes Layer einzufügen. 

Bild: Editor - copy Layer

Erstellte Performances lassen sich dann auch noch mit der multi/poly native Version austauschen, die vom kostenlosen Librarian zu unterscheiden ist. Beide können entsprechende Dateien im- und exportieren, im Bild ist das für den Librarian zu sehen.

Eine großartige neue Option des multi/poly ist auch das Arbeiten mit globalen Stimmungen.

Bild: Global Scale

Dabei geht es darum, dass die Abstände zwischen den 12 Tönen einer Klaviatur bzw. einer Oktave nicht immer die gleichen 100 Cent betragen. So (bzw. anders) wurden z. B. früher Klaviere gestimmt, um in bestimmten Tonarten besonders gut zu klingen. Dass das gut klingen kann liegt auch daran, dass es Naturgesetzen folgt, denn in der Natur schwingen bei jedem Ton Obertöne mit, anhand derer Du Töne eines Instruments oder die Stimme einer Person identifizierst. Diese Obertöne entsprechen alle einem (unterschiedlichen) Vielfachen der Originalfrequenz. Ein Klavier mit gleichmäßigen Abständen zwischen den Stimmen hat, bezogen auf den Grundton, aber leicht andere Verhältnisse der anderen Töne zu diesem. Diese sind mittlerweile Hörgewohnheit geworden. Doch mit Einstellungen wie „Pure Major“ kannst Du in multi/poly auch wieder das Hörerlebnis einer „reinen Stimmung“ im Sinne der Naturgesetze und deren „Sound“, etwa für eine Durtonleiter erleben.

Im multi/poly funktioniert das Einstellen einer Tuning-Skala auf globaler Ebene. Aktiviere im Utility Menü „Global Scale“. Hier kannst Du zwei Skalen 1 und 2 einstellen, um bei einer Performance schnell eine davon auswählen zu können oder unabhängig vom aktiven Tuning ein anderes im Voraus auswählen zu können. So weit wird anderswo selten gedacht. Stelle nun z. B. „Pure Major“ (spiele dann C Dur), „Pure Minor“ (spiele nun c moll) – oder „Pythagoras“ als Kompromiss ein und höre Dir den (manchmal subtilen) Soundunterschied an. Als Grundton ist voreingestellt „C2“ ausgewählt, diesen kannst Du natürlich ebenfalls verstellen.

Die Nutzung solcher Stimmungen eignet sich auch, um fern- oder mittelöstliche Ästhetiken zu realisieren, weil dortige Instrumente oft entsprechend gestimmt sind, etwa in den Tuning Presets „Arabic“ oder „Pelog“

Globale Tunings bleiben auch beim Wechseln von Presets weiter eingestellt/ erhalten.

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multi/poly

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